Von Cornelia Seng
Im „Café Hallo“, dem Treffpunkt für Flüchtlinge und Einheimische hier in Kassel, habe ich vorige Woche G. kennengelernt. G. ist aus Syrien, er hat erwachsene Kinder und Enkelkinder. Seit fünf Jahren ist er in Deutschland. Er ist aramäischer Christ. Die Aramäer sind mit die älteste christliche Kirche, Nachfahren der ersten Christen rund um Damaskus. Ich freue mich, ihn zu treffen.
„Deutschland gut“, sagt G., „System gut, Gesetze gut, Regeln gut“. Es freut mich natürlich, wenn jemand mein Land lobt.
Wie es denn in Syrien sei, frage ich ihn.
G. schaut mich entsetzt an: “Syrien Bumm – Bumm!“
Ja, aber vor dem Bumm-Bumm? Er soll mir doch bitte etwas über sein Land erzählen. Wie warm ist es zum Beispiel gerade?
„Sehr heiß, 44 Grad“, antwortet G., „aber die Hitze ist nicht wie hier, Syrien Hitze gut, anderes Klima. Und das Essen schmeckt viel besser, das Gemüse hat einen ganz anderen Geschmack und erst das Fleisch! Nicht wie hier Fleisch, …“ . Er hat glänzende Augen. Ich spüre seine Sehnsucht, sein Heimweh.
„Den Christen ging es nicht schlecht unter Assad, dem langjährigen Herrscher“, mache ich einen neuen Versuch.
Da antwortet G.: „Ich spreche nicht über Politik,“ mit Abscheu im Blick. Er macht eine abweisende, endgültige Handbewegung.
Okay, ich habe verstanden. Hätte ich das nicht sagen dürfen?
Ich spreche über Politik seit ich Menschen wie G. kenne. Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Iran, Afghanistan und verschiedenen afrikanischen Staaten.
Seitdem beobachte das Leid der Menschen in Syrien verstärkt. Was passiert gerade in Idlib? Assad bombardiert seine eigene Bevölkerung, Krankenhäuser und zivile Einrichtungen, was völkerrechtlich selbst im Krieg nicht sein darf. Und die Staatengemeinschaft schaut hilflos zu. Ohne Rücksicht auf das entsetzliche Leiden der Menschen werden politische Machtkämpfe ausgetragen.
Und darüber will er nicht sprechen?
Wir brauchen ehrliche Berichte über Folter und das Verschwinden von Menschen in Syrien, über das Leid der Kinder in den Flüchtlingslagern im Irak, über die Missachtung afghanischer Flüchtlinge im Iran.
Ich habe noch keinen Geflüchteten kennengelernt, der nicht unter den Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatland gelitten hat.
Darüber müssen wir reden.
Genauso wie über die fehlende Integrationspolitik in Deutschland, über den aufkommenden Nationalismus, über politische Ideologien und gefakte Verschwörungstheorien. Und über das Versagen von Europa bei der Seenotrettung, der Unterbringung von Flüchtlingen in Griechenland und Italien und der Verteilung über die Länder Europas.
Damit das „System hier gut bleibt“ – und es in Syrien z.B. besser wird.
Wir müssen miteinander über Politik sprechen!
Cornelia Seng